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I

ch erinnere mich noch

ganz genau daran, wie

ich meinen ersten Ta-

schenfeitel

bekam.

Mein Opa hat ihn mir

geschenkt und ich war viel-

leicht vier Jahre alt. Mit dem

Messer im Hosensack fühlte

ich mich fortan wie ein unbe-

siegbarer Held. Trotzdem hat-

tedieserHöhenflugaucheinen

gewissen Nachgeschmack.

Weil bevor mir mein Opa den

Feitel gab, hat er die Klinge

über einen Schleifstein gezo-

gen.

Die ganze Schneid

war damit weg

und meine

junge Kämpfer-

seele hat die ers-

te Schramme abbekom-

men. Was hat sich der Opa

dabei nur gedacht? Als ob sich

ein kleiner Held mit dem ei-

genen Messer in den Finger

schneiden würde?

Bartholomäus Löschenkohl

hätte sich in seinem Grab um-

gedreht, wenn er gesehen hätte,

wie mein Opa mutwillig die

Schneid des Feitels zerstörte.

Weil der Bartholomäus Lö-

schenkohl ist so etwas wie der

Vater des Taschenfeitels und ge-

lebt hat er vor rund 500 Jahren.

Damals ist er von Steinbach an

der Steyr in das Trattenbach-

tal gezogen. Das ist ein enger,

langer Schlauch, der Talboden

ist kaum breiter als ein Haus,

die Hänge links und rechts ge-

hen fast senkrecht in die Höhe

und vier Monate lang findet

die Sonne hierher keinen Weg.

Alles in allem eher unfreund-

lich die Gegend. Wenn da nicht

der Trattenbach wäre. Der

schlängelt sich durch das

Tal und ist damit seit jeher

eine nie endende Ener-

giequelle.

Seit 500 Jahren ist

der

Taschenfeitel

perfekt. Das bil-

ligste Messer der

Welt wird seit-

her praktisch

unverändert

hergestellt.

Naja,

die

B e a r b e i -

tungsme-

t h o d e n

habensich

vielleicht

ein bisserl

geändert.

Aber

im

Grund kau-

fen wir für

ein paar Euro

noch immer den gleichen Ta-

schenfeitel, wie ihn auch schon

Bartholomäus Löschenkohl ge-

macht hat. Der besteht aus vier

Teilen: Griff (Heft), Klinge,

Blechring und Nagel.

Von Rupert LENZENWEGER

Trattenbach liegt an der ober-

österreichisch-steirischen Ei-

senstraße. Die reicht vom Erz-

berg bis Steyr. Und während in

anderen Orten entlang dieser

Straße auch Sensen, Sicheln

und ähnliche Geräte hergestellt

wurden, kamen aus dem Trat-

tenbachtal

jahrhundertelang

nur die Feitel. Dafür wurde der

beste Stahl verwendet. Das Erz

dazu kam vom Erzberg, der

Stahl wurde in Reichraming

gemacht, ehe er den Weg in das

Trattenbachtal fand. Da waren

zur Hochblüte zwischen 1850

und 1900 bis zu 17 Familien

damit beschäftigt, die kleinen

Messer herzustellen. Bis zu

acht Millionen Feitel verließen

jährlich das Tal, wurden in die

ganze Welt verkauft und brach-

ten den Talbewohnern großen

Wohlstand. Noch bis 1970

wurden jährlich 500.000 Ta-

schenfeitel nach Marokko ex-

portiert. Was haben die dort da-

mit gemacht? „Das wissen wir

eigentlich selbst nicht“, sagt

Bruno Löschenkohl, dessen

Vater die letzte große Messer-

Der Trattenbach

treibt alle Maschinen an.

Erfinderisch:

Altes Uhrwerk steuert Farbautomat.

Jahrhunderte

alte Messer

Mag unsere

Zeit auch

noch so

hektisch

sein.

Es gibt noch

Dinge, die

uns seit

Jahrzehnten

begleiten.

Seit 500 Jahren

August