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Oktober

Von

Christina

BURDA

I

n den Sommerwochen

gab es davon jede Men-

ge zu lesen: Lebens- und

Fluchtgeschichten

von

Menschen aus Afghanistan, aus

Somalia, aus Syrien und von

vielen anderen Ländern, die

Leben nach unseren Maßstä-

ben nicht mehr bieten können.

Leben, so wie wir es kennen:

Arbeit, Zuhause, zumeist ein

Auto. Schule und Ausbildung

für Kinder, Freunde, Familie,

Freizeit mit Ausflügen, Festen,

Sport.

Diese Lebensgeschichte ist

die der Familie von Ali und

Farah aus dem Irak. Ali ist

Büromaschinentechniker und

Farah ist Zivilingenieurin. Ihre

beiden Kinder, 12 und 9 Jah-

re alt, sind Kinder wie unsere

Kinder hierzulande auch. Naja,

ein bisschen schüchtern sind

die beiden noch. Sie mussten

in den vergangenen Jahren

auch Dinge erleben, die zum

Glück kein Kind hierzulande

erleben musste. Es ist auch die

Geschichte einer Helferin in

der ersten Minute des Flücht-

lingscamps in Mondsee, einem

Containerdorf im Bereich der

Straßenmeisterei,

Michaela

Froschauer.

Was ist das für ein Augen-

blick, an dem man sich ent-

scheidet, alles zurückzulassen

und zu sagen, jetzt gehen wir

weg?

Ali spricht Englisch, er er-

zählt:

„Wir hatten beide Jobs,

ich war einige Zeit auch Über-

setzer an der amerikanischen

Botschaft. Wir haben diese

Entscheidung wegen unse-

rer Kinder getroffen. Es ist in

Bagdad für uns nicht mehr si-

cher gewesen. Zuerst, weil ich

für die Amerikaner gearbeitet

habe und auch, weil wir zur re-

ligiösen Gruppe der Sunniten

gehören. Zuerst haben wir uns

bei der Familie meiner Frau

versteckt, aber ich konnte dort

nicht arbeiten. Wir sind dann

weiter in den Nordirak, nach

Kurdistan. Aber auch dort ist

es nirgendwo sicher. Man weiß

nie, wo gekämpft wird. Also

sind wir über die Grenze in

die Türkei. Dort haben wir ein

Jahr in einem UN-Flüchtlings-

camp gelebt. Ich hatte sogar

Arbeit in der Türkei. Bei der

Registrierung haben sie uns

gesagt, für die Anerkennung

als Flüchtling und die Aufnah-

meverfahren in die USA oder

Kanada müssten wir vier bis

fünf Jahre warten. So lange!

Nach einem Jahr beschlossen

wir, besser auf dem Landweg

nach Europa zu reisen, weil

wir unseren Kindern eine Zu-

kunft geben möchten. Vier Jah-

re warten in einem Flüchtlings-

camp, ohne Ausbildung, das ist

doch keine Zukunft.“

Die Familie hat die mittler-

weile bekannte Route über

Griechenland,

Mazedonien,

Serbien und Ungarn genom-

men. Das klingt einfach. Für

Touristen. Für Flüchtlinge:

Unsichere Boote von der tür-

kischen Küste nach Griechen-

land, vier Tage ohne Essen,

Wasser nur aus dem Bach in

Serbien, der Kastenwagen von

Ungarn nach Österreich, 50

Leute. Zwei Tage Polizeista-

tion, erste Versorgung, Ver-

pflegung. In Traiskirchen 20

Tage im Freien schlafen. Ali

nennt diese Strecke „Route of

Death“….

D

er Tag, an dem alles be-

gann, war für Michaela

Froschauer als ehren-

amtliche Helferin in Mondsee

ganz anders. Auslöser für ihr

Engagement waren die Medi-

enberichte und das Gefühl „da

müsste man was tun“. Am Bau-

stellenzaun bei der Autobahn-

abfahrt Mondsee hat sie dann

das Transparent „Refugees

welcome“ gelesen und dann

war klar: „Jetzt kann ich etwas

tun. Hier und jetzt.“

Dieser Bruch im Leben hat

viele Eindrücke, es werden

Erinnerungen geschaffen, die

bleiben. Wie zum Beispiel die

Freude über die Herzlichkeit,

mit der die Familie in Öster-

reich aufgenommen wurde,

die Fürsorge, die entgegenge-

bracht wurde. „Wir möchten

gerne bleiben, es ist wunder-

schön hier und die Menschen

sind wirklich freundlich. Das

ist nicht überall so,“ formu-

liert Ali den Herzenswunsch

der Familie. Die schockierend-

sten Erinnerungen der langen

Reise haben sich tief einge-

graben. Details möchte keiner

erzählen. Doch dann rückt Ali

zögerlich heraus: „You cannot

trust in happiness,“ man kann

der Freude nicht trauen.

A

uch Michaela Fro-

schauer nimmt Eindrü-

cke mit, die sie belas-

ten: „Als wir am ersten kalten

Tag bei der Wäsche-Ausgabe

keine Kinderschuhe mehr hat-

ten, und ich den Kindern sagen

musste, tut mir leid, ich habe

keine Schuhe für euch….“

Wie geht das Leben für Hel-

fer und Flüchtlinge jetzt wei-

ter? Für die irakische Familie

kommt nach dem Stress der

Flucht jetzt das Atem holen,

aber auch die unablässige Sor-

ge. Wie geht es weiter? Farah

weint: „Ich habe Angst, dass

wir unsere Zukunft verloren

haben. Was soll aus uns wer-

den?“

Michaela Froschauer als

Helferin hat praktische Sorgen.

Langsam muss sie mit ihrem

Einsatz zurückfahren, denn ne-

ben dem Job 100 Stunden eh-

renamtlich die Woche zu arbei-

Auf der Suche nach

Zukunft …

Von Irak

nach Trais-

kirchen ...

... Ali nennt

diese

Strecke

„Route of

Death“ ...