2015
Kurzgeschichten
51
Von Josef R. GHEZZI
nes machen. Dann würdet ihr
schauen, was das für ein Weih-
nachtsfest wäre.“ Aber wenn
richtig genickt, dann alles gut.
Wir nahmen uns zusammen,
ich sag dir was. Auch deshalb,
weil das mit dem Beuschel,
das es einmal zu Weihnachten
nicht geben könnte, war eine
leere Drohung. Das wussten
wir. Weihnachten ohne Beu-
scherl wäre für uns keine Stra-
fe gewesen. Aber für die Tante
Milli ... ach, frag´ erst lieber
gar nicht.
Tante Milli verließ das Haus
kaum. Sie konnte ja ihre Töpfe
nicht allein lassen. Dass des-
halb auch der Opa für den Ein-
kauf zuständig war, habe ich eh
schon erzählt. Aber er war auch
Beuscherllieferant. Das musst
dir jetzt so vorstellen. Wenn am
24. Dezember die Dunkelheit
hereinbrach, dann nahm der
Opa den großen Topf mit dem
Beuschel, klemmte ihn sich
irgendwie unter den Arm und
marschierte damit zu uns. Wir
waren nicht weit weg von Opas
und Tante MillisWohnung. Quer
über den Hauptplatz, fünf Mi-
nuten Fußmarsch. Wenn´s über-
haupt so lange gedauert hat.
Jetzt kann an einem 24. De-
zember aber auch schon einmal
Winter sein. Ich denke jetzt
weniger an Schnee, sondern
vielmehr an Glatteis. Aber
nicht so ein bisserl, sondern das
Sekundeneis. Den ganzen Tag
leichter Regen. Alles nass. Und
dann mit dem Einbruch der
Dunkelheit plötzlich unter null
Grad. Schon zieht es das Eis
schneller auf, als irgend jemand
streuen kann. Haus verlassen
ist dann quasi ein Todeskom-
mando. Der Tante Milli ist so
etwas egal. Weil wer zwei Ta-
ge oder länger Beuschel kocht,
der hat dann kein Verständnis
dafür, dass jetzt wegen ein bis-
serl Glatteis die Lieferung nicht
funktionieren sollte.
Also machte sich mein Opa
auf demWeg. Beuschel imTopf
unter dem Arm, Hut auf dem
Kopf und einen großen Ruck-
sack hatte er auch mit. Wozu
weiß ich nicht. Um uns das
Beuschel zu bringen, musste
Opa nicht nur über den Haupt-
platz marschieren, was noch
einigermaßen klappte. Sicher-
lich. Ein paar Rutscher da, ein
paar Unsicherheiten dort. Aber
im Großen und Ganzen jetzt
nicht so die Herausforderung.
Obwohl, schwerer gehst dich
schon, wennst einen Topf Beu-
schel mit dir herumjounglieren
musst.
Opa musste aber auch durch
die Linzergasse. Die ist zwar
jetzt nicht besonders lang,
aber ziemlich uneben. Kopf-
steinpflaster, lose Steine. In
der Linzergasse war auch das
Gasthaus „Zur Hölle“. Eher
eine wilde Bude. Tschecher-
anten, so wie du sie sonst nur
in so manchen Tankstellenbei-
seln findest. Wirtshausgeher
der übelsten Sorte trafen sich
dort. Um es kurz zu machen,
sagen wir so, ohne zu übertrei-
ben: Das Gasthaus hatte nicht
gerade den besten Ruf. Ausge-
rechnet vor der Tür zum Gast-
haus, riss es dem Opa die Beine
aus. Da half nichts mehr. Keine
Verrenkung, keine Kämpfe um
das Gleichgewicht. Opa stürz-
te und fiel dabei genau auf den
Beuscheltopf. Der mit großen
Gummiringen befestigte De-
ckel sprang auf und Tante Mil-
lis Beuschel ergoss sich über
die ganze Linzergasse. Was
sollte da mein Opa noch tun?
Er rappelte sich auf, schnappte
den Topf, der durch die Wucht
des Anpralls nicht mehr rund,
sondern ziemlich oval war,
und machte sich auf den Weg
zu uns. Kennst das, wennst
laut loslachen möchtest, aber
nicht darfst? Schlimm ist das,
da wirst mir jetzt recht geben.
Die Tränen, die gerne aus den
Augen schießen würden, boh-
ren sich ins Hirn. Du beißt auf
deine Lippen und trotzdem
kommt ein lachähnlicher Laut
heraus. Am besten ist es da,
gleich zu husten und wenn es
geht, auch noch zu niesen. Das
drängt dann das verhaltene
Lachen irgendwie in den Hin-
tergrund. Und dann schaust
deinen Bruder, deine Schwes-
tern und deine Eltern an und
siehst, denen geht es genauso.
Du lieber Himmel, das ist eine
Prüfung. Aber genauso ist es
uns ergangen, als uns der Opa
sein Missgeschick mit dem
Beuschel erzählte. Mama hat
dann die Jause aufgetragen und
seltsamerweise hat der Opa
gar nicht gefragt, woher die so
schnell kommt. Vielleicht hat
er insgeheim gewusst, dass wir
das Beuschel eh nie gegessen
haben, sondern dass es mein
Vater als seine erste Tat am 25.
Dezember im Komposthaufen
vergraben hat. Das Loch dafür
hat er schon geschaufelt, noch
bevor der Boden gefroren war.
Also manchmal schon Wochen
vor den heiligen Fest. Ja, in
diesem Fall war eine gewisse
Weitsicht schon notwendig.
Jetzt war der Opa durchaus
ein Mensch, der auch über sich
selbst lachen konnte. Deshalb
hat er auch nicht länger dem
Beuschel nachgetrauert, son-
dern mit uns einen gemütlichen
Heiligen Abend verbracht. Den
verbogenen Topf wollte er am
nächsten Tag in seiner Werk-
statt wieder in Form bringen.
Ob er das getan hat, weiß ich
jetzt nicht, weil das war das
letzte Mal dass er uns ein Beu-
schel gebracht hat.
Weil was ein paar Tage später
passiert ist, glaubst jetzt nicht
und muss für die Tante Milli
der Schock des Lebens gewe-
sen sein. Da erscheint die Lo-
kalzeitung mit ihrer Rubrik „es
gefällt uns nicht“. Und weißt,
was da wortwörtlich gestanden
ist? Es gefällt uns nicht, dass
die Gäste des Gasthauses Hölle
auch am 24. Dezember so viel
Alkohol trinken, dass sie die
ganze Linzergasse vollspeiben.
Noch am 25. Dezember lag am
unteren Hauptplatz der Gestank
von Erbrochenem in der Luft.
Seither wissen wir, wonach
Tante Millis Beuschel tatsäch-
lich gerochen hat.