Dezember 2017
Seite 20
Advent im Flachgau
E
s muss etwa 1967
gewesen sein, als
ich unserem ältli-
chen Pfarrer den
Vorschlag mach-
te, unsere Christmette nicht
wie bisher um Mitternacht,
sondern bereits gegen 18 Uhr
zu feiern. MeinArgument war
in mehrerer Hinsicht überzeu-
gend: Alle bedeutsamen Fei-
ern beginnen mit einem Got-
tesdienst in der Kirche. Da-
nach wird die Feier zu Hause
fortgesetzt. So können auch
unsere Kinder die Geburts-
tagsfeier des Christkindes
miterleben und Alkoholfah-
nen werden nicht in die Kir-
che gebracht.
Von Dieter NICKEL
Der Vorschlag gefiel Hoch-
würden, denn er war sicher-
lich froh, wegen der Messe am
Morgen des ersten Feiertages
früher ins Bett zu kommen.
Und so geschah es, dass wir
erstmals unsere drei damals
elf-, neun- und siebenjährigen
Kinder Birgit, Judith und Tho-
mas am Heiligen Abend bei der
Christmette in unserer schönen
weihnachtlich geschmückten
Kirche zur „Heiligen Familie”
bei uns hatten. Der Nachteil
war, dass die Zeit bis zur Be-
scherung länger wurde.
Nachdem die Weihnachts-
lieder gesungen und die Or-
gelklänge verklungen waren,
machten wir uns eilig auf den
Heimweg. In der Dunkelheit
erkannten wir den alten Herrn
Vollmann vor uns. Er hatte an-
fangs den gleichen Weg wie
wir, schien aber auf uns gewar-
tet zu haben. Er war ein „ech-
ter” Berliner aus dem Stadtteil
Wedding und nun alleinste-
hend. Von ihm kannte ich un-
ter anderem den Ausspruch
„Uff de driemsche Seite steht
een kaputtijet Auto mit een
appet Rad”. Trotz seines har-
ten Schicksals – seine beiden
Söhne waren aus dem Zweiten
Weltkrieg nicht heimgekehrt,
sondern vermisst, und seine
Frau war verstorben – hatte er
seinen Humor behalten. Er war
es, der dafür sorgte, dass ich
im Oktober 1945 meine durch
das Kriegsende unterbrochene
Lehre als Industriekaufmann
fortsetzen konnte.
D
och zurück zum Heimweg
von der Christmette. Mei-
ne Frau und ich hatten sofort
den gleichen Gedanken: Wir
lassen Herrn Vollmann heu-
te nicht allein sein. Wir neh-
men ihn mit zu uns nach Hau-
se. Zum Glück konnte man die
enttäuschten Gesichter unserer
Kinder in der Dunkelheit nicht
sehen. Für sie schien der erwar-
tete schöne Weihnachtsabend
mit der ersehnten Bescherung
so gut wie verdorben. Doch es
kam anders, ganz anders.
Zu Hause erwartete uns ein
kleines Abendessen, denn zur
Mittagszeit gab es die von
meiner Mutter aus ihrer schle-
sischen Heimat bekannte Pfef-
ferkuchensoße mit Würsten
und Sauerkraut. Heimlich ließ
meine Frau einen zusätzlichen
Weihnachtsteller
entstehen,
dem ein paar warme Socken
und Herrentaschentücher bei-
lagen. Somit war auch für un-
seren Gast gesorgt. Alles lief
wie immer ab: Nachdem ich im
Weihnachtzimmer nach dem
Rechten gesehen hatte, ließ ich
ein Glöckchen erklingen, auf
dessen Geläut unsere Kinder
ins Zimmer stürzten,
gefolgt von unserem
We i hn a c h t s g a s t
und uns. Dabei
wurden alle be-
kannten Strophen
des Liedes „Ihr
Kinderlein kom-
met” gesungen.
Schon dabei wurde
nach den unter dem
Weihnachtsbaum vom
Christkind gebrachten, noch
verdeckten Geschenken ge-
späht. Namensschildchen auf
jedem Weihnachtsteller navi-
gierten alle mit großem Hal-
lo zu ihrem Platz. Dann ging
es ans Auspacken, denn alle
Erinnerungen an Weihnachten in längst vergangenen Zeiten - Gewinnen Sie ein Buch
Ein Heiligabend als Geschenk
Gaben waren ja eigenhändig
vom Christkind und eventuel-
len Helfern in schönes Weih-
nachtspapier gewickelt. So
etwas kann man nicht einfach
aufreißen, zudem sollte es im
nächsten Jahr wieder Verwen-
dung finden.
Herr Vollmann war offen-
sichtlich sehr gerührt, sicher-
lich dachte er an früher, als
seine Kinder beschert wurden.
Überrascht war er, als er sei-
nen Weihnachtsteller entdeckte
und die bescheidenen Gaben
überreicht bekam. Da er nicht
damit gerechnet hatte, freute er
sich riesig darüber. An diesem
Abend erzählte er von seinen
Kindern und den bescheidenen
Geschenken, die früher eben-
solche Freude bereiteten.
B
eim Nachhauseweg, auf
dem ich ihn bis zu seiner
Wohnung begleitete, begriff
ich, dass das eigentliche Ge-
schenk an ihn die Freude war,
das Weihnachtfest seit langem
wieder einmal in einer rich-
tigen Familie, wenn es auch
nicht die eigene war, mitfeiern
zu können. Das spürten auch
unsere Kinder, die erlebten,
wie man mit geteilter Freude
leidgeprüfte Menschen froh
machen kann. In ihrer Erin-
nerung ist dieser Abend „ein
ganz besonders schöner” ge-
worden.
Die Geschichte wurde
entnommen aus dem 13. Band
der Buchreihe „Unver-
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enthält 31 Er-
innerungen
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guten
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