Wo ist eigentlich der Schnee zu Weihnachten

Frag mich jetzt bitte nicht. Ich weiß genau wovon ich rede. Seit sieben Jahren gehe ich am 24. Dezember durch das Wenger Moor von Neumarkt nach Seekirchen. Sechs Mal davon war ich im T-Shirt unterwegs. Nur im Vorjahr habe ich auf den letzten Metern die Regenjacke gebraucht. Von weißen Weihnachten war aber all die Jahre über keine Spur.
Ein Blick auf die Wetterstatistik zeigt. Es war 2010, als wir zum letzten Mal an den Weihnachtsfeiertagen so etwas wie eine geschlossene weiße Decke im Land liegen hatten. Um es kurz zu machen. Bei uns zu Weihnachten heißt es eher „es grünt so grün“ als „leise rieselt der Schnee“.
Früher, erzählen ganz alte Leute, soll es ganz anders gewesen sein. Schnee bis zum Bauch, Eiszapfen an der Nase und angefrorene Zehen nach dem Gang von der Mette heim.
Also Klimaerwärmung? Nicht wirklich, wissen die Meteorologen und lassen uns wissen: Tauwetter zu Weihnachten ist völlig normal. Weiße Weihnachten sind eher Ausreißer.
Wieso aber ist das so? Die globale Erwärmung ist defintiv nicht die Ursache für die grünen Weihnachten bei uns. Dieses typische Nicht-Winterwetter bei uns hat sogar einen eigenen Namen: Es ist das Weihnachts-Tauwetter, das meist vom 24. Dezember bis Silvester herrscht. Es ist ein so typisches, regelhaftes Witterungsverhalten, dass es Meteorologen als Singularität (eine vom normalen Verlauf abweichende Wetterentwicklung) bezeichnen. Etwa wie die Eisheiligen im Mai oder die Schafskälte im Juni. Und dass das keine Erscheinung unserer Zeit ist, zeigt ein Blick in die Chroniken: Angeblich sind die Menschen schon im Mittelalter im südlichen Rhein an den Weihnachtsfeiertagen schwimmen gegangen. Nun, so wild treibe ich es auf meinen Weihnachtsspaziergängen durch das Wenger Moor jetzt auch wieder nicht. Aber Eis hätte mich noch nie daran gehindert, in die Fluten des Wallersees zu steigen.
Aber werden wir wieder wissenschaftlich und machen wir uns auf die Suche nach der Ursache für den Wärmeeinbruch Ende Dezember: Dabei trifft polare Kaltluft von Osten auf subtropische Warmluft aus Südwesten. Und schon ist es da, das leidige Islandtief. Gegen den Uhrzeigersinn dreht sich das Tiefdruckgebiet, schaufelt die Kaltluft weiter nach Norden und saugt die feuchtwarme Atlantikluft mit regenreichen Westwinden zu uns heran und beschert uns somit unser typisches Weihnachtswetter. Vor allem Bayern und Österreich erwischt die feuchtwarme Witterung, während der Nordosten Europas noch eher Chancen auf die polare Kaltluft hat. Manchmal verläuft eine scharfe Trennlinie zwischen den kalten und warmen Luftmassen. Dann wird es turbulent: Starke Schneefälle, Eisregen und Blitzeis treten auf. Ein Grauen für alle, die zum familiären Weihnachtsfest unterwegs sind. Außer sie marschieren nur, so wie ich, durch das Wenger Moor von Neumarkt nach Seekirchen. Das könnte auch zur Abwechslung einmal bei Schneefall und eisigen Temperaturen recht reizvoll sein.
Übrigens: Auch heuer schaut es nicht unbedingt nach tiefweißen Weihnachten aus. Und für das nächste Jahr wissen die Meotorologen jetzt schon, dass sich El Nino, was übersetzt witzigerweise „Christuskind“ heißt, wieder recht kräftig zu Wort melden wird. Und wenn die Wetterküche zwischen der südamerikanischen Westküste und der Ostküste Australiens verrückt spielt, dann können wir uns weiße Weihnachten praktisch abschminken.
Rupert Lenzenweger