Mit Casanova zum Karneval nach Venedig

„Ist dieser Platz noch frei?“ Noch ehe ich antworten konnte, saß Clown Pepitto am Platz neben mir und belegte damit wahrscheinlich den letzten freien Sitz im ganzen Zug von Treviso nach Venedig. Obwohl an einem Sonntag Morgen normalerweise kaum jemand mit diesem Zug fährt, war er diesmal zum Bersten voll. Und alle hatten wir nur ein Ziel: den Karneval in Venedig.

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Pepitto war nicht allein unterwegs, aber seine Familie hatte sich im Zug aufgeteilt. Jeder war ausgeschwärmt um noch irgendwo einen Sitzplatz zu ergattern. Ich schaute mich um. Praktisch alle meine Mitreisenden waren maskiert. Mir gegenüber saß Batmann mit seinem Todfeind Joker in friedlicher Einigkeit. Auf der anderen Seite des Ganges hatte Giacomo Casanova Platz gefunden. Eingehüllt in einem goldenen Kostüm. Die schwarzen Schuhe trugen große silberne Spangen und der wuchtige Hut war aus Samt. Das Gesicht hatte er hinter einer Maske mit einem langen Schnabel verborgen. Seine drei Begleiterinnen waren nicht weniger fesch. Auch sie in schweren, mit Goldpailletten verzierten Kleidern. Ihre Masken waren bunt und klein, verdeckten nur die Augen und betonten die gepuderten Nasen und grellroten Lippen. Als Casanova plötzlich eine große Flasche Prosecco von irgendwo herzauberte, zog eine der feinen Damen unter ihrem Reifrock goldene Becher hervor. Wahrscheinlich eh nur Plastikattrappen, aber von meinem Platz sahen die Becher imposant aus. Und obwohl die Fahrt bis zum Bahnhof Santa Lucia mitten im Herzen der Lagunenstadt nur rund zwanzig Minuten dauerte, schafften es Cassanova und seine hübschen Begleiterinnen spielerisch, die große Flasche bis zur Ankunft des Zuges zu leeren.
Schon vor dem Aussteigen habe ich Casanova und seine Verehrerinnen aus den Augen verloren. Eine Gruppe Indianer hat mir die Sicht verstellt, dann kamen auch noch unerwartet Piraten dazwischen und schließlich wurde ich inmitten einer Horde wild kreischender Revuetänzerinnen in kurzen Röckchen über die Stiegen am Ausgang des Bahnhofs Richtung Piazzale Roma geschoben. Wirklich unangenehm war mir das nicht und auch die Tänzerinnen dürften an mir Gefallen gefunden haben. Baten sie mich doch nach der letzten Stufe darum, ein Foto von ihnen zu machen.
Lange blieb auch ich nicht unmaskiert. Schon wenige Schritte von der Bahnhofstiege entfernt, noch weit vor der Haltestation der Vaporetto, wurden auf Dutzenden Ständen Masken aus vermutlich chinesischer Produktion spottbillig angeboten. Das Anbot reichte von kleinen Augenmasken für zwei Euro über Masken, die dir einen Federbuschen auf den Kopf oder eine lange Nase vors Gesicht zaubern und acht Euro kosteten. Wer 15 Euro investierten wollte, konnte sich für eine komplette Gesichtslarve mit unzähligen Schellen entscheiden. Ich nahm eine schwarze Maske mit roten Federn im mittleren Preissegment, um mich damit für den Rest des Tages bis zur Unkenntlichkeit zu entstellen.
Mit der Maske kommt auch die Unbeschwertheit. Du lässt dich gefangen nehmen von der ausgelassenen Stimmung, die überall auf den Plätzen herrscht. Du staunst, welchen Aufwand manche Menschen betreiben, um sich in perfekter Verkleidung dem Karnevalstreiben hinzugeben und stellst überascht fest, dass bei weitem nicht alle Menschen hinter den Masken aus Italien kommen, sondern alle Sprachen diese Erde sprechen. Du kommst schnell in Kontakt, lernst dabei nicht nur Casanova und Revuetänzerinnen, sondern auch den Papst, Till Eulenspiegel, Prinz Eisenerz oder einfach nur einen singenden Kaktus auf zwei Beine kennen. Alle Grenzen sind aufgehoben, wenn sich am Markusplatz Menschen aller Nationen treffen um gemeinsam den Karneval von Venedig zu feiern, dessen Entstehungsgeschichte bis in die Antike mit den damaligen Gebräuchen der Fastenzeiten zurück reicht. Wenn wir im Geschichtsbuch blättern, dann erwähnt 1094 der Doge Vitale Falier erstmals dieses Fest, das ab dem 13. Jahrhundert mit Masken gefeiert wurde. Im Spätmittelalter nahmen die Feierlichkeiten immer prunkvollere Formen an und fanden vor allem an den Fürstenhöfen statt.
Im 18. Jahrhundert lockerten sich die Sitten und fortan sorgten die Masken bei den Festen dafür, dass die ärmere Bevölkerung für die Zeit des Festes mit dem Adel auf einer Stufe stand. Der Karneval fördert die Möglichkeit für untere Schichten, sich zu vergnügen, die schweren Zeiten zu vergessen und die sozialen Unterschiede aufzuheben.
Einer der bekanntesten Persönlichkeiten dieser Zeit war Giacomo Casanova, der in seinen Memoiren viele Eindrücke dieses ausschweifenden Jahrhunderts festhielt. Im Karneval hatte die arme Bevölkerung sogar die Möglichkeit, die Aristokratie zu verspotten.
Unter Napoleon Bonaparte endete die Blütezeit vorläufig. Auch wegen der wirtschaftlichen Schwierigkeiten. Der Karneval verlor seinen Reiz und sogar Masken wurden eine Zeitlang verboten. Zu guter Letzt leistete die Bevölkerung sogar Widerstand und boykottierte öffentliche Veranstaltungen dieser Art.
Trotzdem konnte der Karneval nicht vollständig ausgemerzt werden, auch wenn er erst 1967 wieder Tradition wurde. Besonders Fellinis Film Casanova sorgte 1976 für eine Wiederbelebung. Durch die Rückkehr zur traditionellen Veranstaltung erlebte auch das Theater Commedia dell’arte einen Aufschwung, bei dem bis heute originale Masken und Kostüme aufwändig nachgestaltet und vorgeführt werden. -25. 2. 2025-
Rupert Lenzenweger
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