Kleine Wespe eroberte die Welt
Wir starten unsere Reise in das kleine Städtchen Pontedera nahe Pisa mit einer Frage, die niemand verlässlich beantworten kann: Kannten die beiden Studenten Santiago Guillen und Antonio Veciana schon vor ihrer großen Reise vor 62 Jahren Salvadore Dali persönlich oder haben sie ihn zufällig dabei kennen gelernt?
Genau genommen ist die Antwort aber gar nicht so wichtig. Weil dass sich die drei getroffen haben, beweist ein Vespa-Roller, der heute als einzigartiges Schmuckstück unter einem Glassturz im Piaggio-Museum in Pontedera steht. Was aber genau macht diesen Motorroller jetzt so besonders? Es sind ein paar skurrile Pinselstriche, die Salvadore Dali in seinem ganz unverkennbaren Stil auf das dickbäuchigen Hinterteil der Vespas gezaubert hat. Passiert ist das Ganze, als im Sommer 1962 Santiago Guillen und Antonio Veciana mit ihren Vespas von Madrid nach Athen gefahren und bei ihrem ersten Stopp in Cadaquez eben auch mit Dali zusammengetroffen sind.
Eine dieser Dali-Vespas steht jetzt als unbezahlbares Unikat im Piaggio-Museum, in dem in diesem Jahr ein besonderes Jubiläum gefeiert wird: 140 Jahre Piaggio und 78 Jahre Vespa. Und es sind vor allem die kleinen Motorroller aus Italien, die es längst weltweit zu einem einzigartigen Kultstatus gebracht haben.
Das Piaggio-Museum ist Italiens größtes Motorradmuseum und zieht jährlich 700.000 Besucher an. In alten Werkshallen präsentieren sich auf 5.000 Quadratmetern mehr als 250 Fahrzeuge den Besuchern. Und weil vor sechs Jahren alles komplett renoviert wurde, dürfen die Italiener mit Fug und Recht behaupten, dass sich eines der weltweit modernsten Zweirad-Museen nahe Pisa befindet. Dass der Eintritt in diese heiligen Hallen auch noch gratis ist, sei nur so ganz nebenbei erwähnt.
Es sind beileibe nicht nur „Vespisti“ die das Museum besuchen. Auch wer sonst weniger mit Motorräder am Hut hat, kommt hier auf seine Kosten und versteht nach dem Rundgang den Kult, der sich weltweit rund um diesen Roller entwickelt hat.
Vespa gehört zum Piaggio-Konzern. Der wurde vor 140 Jahre gegründet und baute stets viel mehr als die herzigen Motorroller. Zum Konzert gehören heute auch die Motorradmarken Aprillia, Derbi, Laverda und Moto Guzzi. Namen, die in der Geschichte des Motorsports von 104 Weltmeistertiteln in den unterschiedlichsten Kategorien erzählen: von Supermoto bis zu MotoGP, von Trial bis zu Superbike. Auch für diese Erfolges und Sternstunden der italienischen Motorradgeschichte ist Platz in den alten Werkshallen.
1884 hat Rinaldo Piaggio eine Schiffsbaufirma gegründet. Später waren es Eisenbahnwagen und dann wandte er sich dem Flugzeugbau zu. 1916 baute er dazu eine völlig neues Flugzeugwerk in Pontedera, wo sich noch heute die Produktionsstätte von Piaggio befindet.
Nach dem zweiten Weltkrieg verboten die Siegermächte Piaggio die Herstellung irgendwelcher Rüstungsgüter. Also suchte Enrico Piaggio, der inzwischen von seinem Vater das Unternehmen übernommen hatte, nach einem Ausweg. Dabei kam ihm entgegen, dass nach dem Krieg nicht nur in Italien immer mehr Menschen und Firmen preiswerte Transportfahrzeuge für den Wiederaufbau suchten. So entwickelte Piaggio einen Motorroller, den er 1946 unter dem Namen Vespa (italienisch „Wespe“) vorstellte. Zwei Jahre später präsentierte die Firma dann auch noch einen dreirädrigen Kleintransporter, den sie Ape („Biene“) nannte.
1987 übernahm Piaggio auch den österreichischen Mofahersteller Puch. Inzwischen ist Piaggio Marktführer im Rollerbau in Europa und mit 7.500 Beschäftigen einer der wichtigsten Arbeitgeber im Großraum Pisa.
Übrigens: Die beiden Studenten Santiago Guillen und Antonio Veciana vom Anfang unserer Geschichte kamen nicht nur mit zwei kunstvoll verzierten Vespas von ihrer langen Reise heim, sondern auch mit dem päpstlichen Segen von Johannes XXIII. Der nämlich lud die beiden jungen Männer zu einer Audienz, als sie auf ihrer Reise nach Athen in Rom Station machte. Hat das der Papst nur vielleicht deshalb getan, um sich Salvadore Dalis Kunstwerk anzusehen? Das ist jetzt eine weitere Frage, auf die es wohl ebenfalls niemals eine Antwort geben wird.
Rupert Lenzenweger
Schon das erste Vespa-Modell wurde begeistert aufgenommen und zu einem Verkaufsschlager.
Unscheinbar und trotzdem unbezahlbar. Die von Salvadora Dali mit Pinselstrichen verzierte Vespa.
Ein kleiner Roller als die Lösung für das große Verkehrsproblem. Vespa-Werbung von anno dazumal.
Auch auf der Rennstrecke wurden mit Vespas Erfolge gefeiert.
Auch Militärs vertrauen auf den Roller aus Italien.
Diese Vespa konnte fliegen. Kaum verwunderlich, wenn man bedenkt, dass der Firmengründer zunächst eigentlich Flugzeuge baute.
Das Piaggio-Museum ist nicht nur eines der größten, sondern auch eines der modernsten Zweiradmuseen.
Deutlicher kann man es gar nicht darstellen. Die Vespa war stets auch ein Kunstobjekt. Hier ein Roller mit Beiwagen ganz aus Holz. Alle Bilder: Rule
Ein weiterer Welterfolg aus dem Haus Piaggio: der dreirädrige Roller Appe (Biene).
104 Weltmeistertiteln in allen Motorradsport-Bewerben erzählen die Erfolgsgeschichte der Firma Piaggio mit allen ihren Zweiradmarken.