Die Toten von Bonfacio

Mein Freund Albert ist nicht nur ein begnadeter Fotograf. Er verreist auch gerne. So gesehen eigentlich eine perfekte Kombination, weil Albert von seinen Reisen nicht nur immer besonders schöne Fotos heimbringt, sondern auch ganz spezielle. Albert fühlt sich nämlich von Friedhöfen regelrecht angezogen. Es gibt praktisch keinen Ort der letzten Ruhe, den er bei seinen Reisen nicht besuchen und fotografieren würde. Das färbt ab. Zumindest auf mich, weil auch ich seit einiger Zeit bei Reisen Friedhöfe ganz gerne besuche. Zunächst habe ich es deshalb getan, um Albert ein Bild von den Gräbern zu schicken. Verbunden mit einem zwinkernden Smilie. Langsam beginnen aber auch mir Friedhöfe zu gefallen. Albert hat mich quasi angesteckt.

So gesehen ist es eigentlich nur logisch, dass ich bei einer Rundreise mit dem Wohnmobil durch Korsika auch am Friedhof von Bonifacio gelanden bin. Der liegt hoch über dem Meer auf den weißen Kreideklippen und wird den den Einheimischen auch „Cimetière marin de Bonifacio“ genannt. Salopp übersetzt: Marinefriedhof. Denn hier liegen einige Opfer des Schiffsunglücks der französischen Fregatte Sémillante, die 1855 während eines schweren Sturms in der Straße von Bonifacio in Seenot geriet und vor Lavezzi verunglückte.

Der allergrößte Teil der vielen aufwändig gestalteten Familiengruften oder der monumentalen Mausoleen sind aber die letzten Ruhestätten von Bürgern Bonefacios. Daneben gibt es auch kleine und schlichte Gräber mit schlichten Holzkreuzen.

Manche Gräber sind piccobello gepflegt, einige verfallen, manche werden einmal im Jahr weiß gestrichen. Die ältesten Grabstätten stammen aus dem 19. Jahrhundert.
Der südlicheste Friedhof Frankreichs platzt heute aus allen Nähten, denn er ist auf dem kleinen ehemaligen Hof des Klosters von Saint François angelegt, von dem heute nur noch die Klosterkapelle und einige Nebengebäude übriggeblieben sind.

Vor allem im Sommer, wenn die Touristenmassen durch Bonifacio strömen, ist der kleine Friedhof ein Ort der Ruhe. Auch wenn er längst kein Geheimtipp mehr ist, kann man in aller Ruhe entlang der verblassten Grabtafeln schlendern, die pittoresk verwitterten Grabsteine bewundern und die verfallenen Gruften bestaunen.

Rupert Lenzenweger

Von kleinen Urnennischen bis zu mächtigen Mausoleen spannt sich der Bogen der Gräber.
Manche Grabstätten sind über mächtige Pforten erreichbar. Andere sind nur mit alten Geschäftstüren versperrt.
Gassenförmig ist der Friedhof angelegt.
Während die einen Grabstätten verfallen, werden andere jedes Jahr neu gestrichen. Alle Bilder: Rule