VOLLMOND 2-2022

38 VOLLMOND 5/2021 FAHRTWIND aber nicht wegen des angeb- lichen Hauchs einer Metro- pole hierher gefahren. Es sind der Museumshafen und die Museumswerft, die ich unbe- dingt sehen wollte. Standen wir bisher mit un- serem Wohnmobil auf Cam- pingplätzen mit modernen Infrastrukturen, die keine Wünsche offen ließen, mach- ten wir es uns in Greifswald auf einem ausgewiesenen Stellplatz für Wohnmobile bequem. Einfach nur ein gro- ßer Parkplatz vor einer Mo- torrad-Werkstatt. Duschen und Klo im Container. Aber sauber und gepflegt und vor allem: keine hundert Schritte vom Museumshafen entfernt. Der ist in dieser Dimension in Deutschland einzigartig, wird seit 25 Jahren von einem Verein betrieben und beher- bergt mehr als 50 Schiffe, die entlang des Flusses „Ryck“ liegen. Historische Schoner, Schlepper und Barkassen, al- le als Segelboote konzipiert. Die Schiffe sind allesamt in tadellosem Zustand, haben zum Teil in den vergangenen hundert Jahren viele Um- und Rückbauten über sich erge- hen lassen müssen und sind jederzeit für einen Törn auf der Ostsee bereit. „Sie leben auf dem Schiff das ganze Jahr?“, frage ich einen jungen Mann, der auf einem 40 Jahre alten hol- ländischen Plattbodenschiff offensichtlich gerade seine Bettwäsche zum Auslüften über die Reling hängt und auf meine Frage heftig nickt um mir dann zu erklären, dass das seine Studentenbude ist. „Bil- liger kannst in Greifswald nicht leben“, lacht er.Auf dem Schiff ist genug Platz und im Winter sorgt eine Dieselhei- zung für Wärme. Und wenn ihm einmal die Decke auf den Kopf fällt, dann segelt er ein- fach los. Ein paar Tage lang, ziellos auf der Ostsee … „So etwas musst machen, wennst jung bist“, nickt mir der alter Seebär zu, der so wie ich die Promenade entlang geschlendert ist um sich vom Charme der alten Schoner verzaubern zu lassen. Früher ist er mit seinem Segelboot auch viele Jahre auf allen Meer unterwegs gewesen. „Aber das ist vorbei. Jetzt habe ich nur mehr ein klei- nes Boot an einem See in der Nähe von Berlin. Und wei- tere Reisen mache ich jetzt mit dem neun-Euro-Ticket“. Dabei spielen Entfernungen und Zeit keine Rolle. „Ich set- ze mich einfach in den Zug, schaue aus dem Fenster und wundere mich, wie wenig ich eigentlich von Deutschland kenne.“ Auch wir kennen Deutsch- land praktisch nicht. Das mussten wir bei unserer Heimreise feststellen, die we- gen einer verstopften Auto- bahn anders verlaufen ist, als eigentlich geplant. Nach 250 Schlösserpark von Sanssouci in Potsdam. Backsteingotik in Wolgast. Jedes Ostseebad hat seine Seebrücke. Die in Koserow ragt 300 Meter ins Meer.

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