VOLLMOND 5-2022
Die drei Drachenbalken SAGE aus dem Mondseeland E 18 VOLLMOND 5/2022 Einst herrschte ein schrecklicher Dra- che in der Höhle der Drachenwand. Wenn er Hunger hatte, kam er aus der Höhle und verschlang die Rinder, die unterhalb des Schobers weideten. In den Nächten flog er mit seinem schier unverletzlichen Schup- penkörper über die Hügel und Wälder. Schon allein der Hauch aus seinem blutroten Maul genügt um auf Dächer der Dorfhäuser oder Gehöfte einen Brand zu entfachen. Eines Tages kam ein junger Ritter in die Thalgauer Ge- gend und bat einen alten Bau- ern in der Nähe des Schobers, auf dem Hof übernachten zu dürfen. Plötzlich erschien das Untier mit rot leuchtenden Augen und steckte mit einem bellenden Fauchen seines Feueratems das Bauernhaus in Brand. Die schuppigen Fledermausflügel drehten sich wie rasende Kreisel und wirkten wie Fächer auf die lodernden Flammen. Wenig später stand der Alte vor den Trümmern seines Hofes, nur drei große, pechschwarze verkohlte Balken ragten wie Mahnmale aus den Resten. Ergriffen durch das Schick- sal des Bauern beschloss der junge Ritter den Drachen zu töten. Der Bauer riet ihm: „Keine Lanzenspitze oder Schwertklinge kann den Ech- senleib durchbohren, nimm die drei schwarzen Balken mit, sie werden dir dienlich sein!“ Der Ritter stieg mit glänzen- der Rüstung und den drei Bal- ken zur Felsenbrust des Scho- bers empor. Dort angelangt, spitzte er die wuchtigen Holz- stücke mit seinem Schwert zu Pfählen und rammte sie dann, steil gegen den Himmel ge- richtet, in den harten Felsbo- den. Dann schlug er mit sei- ner Lanze gegen das Schild. Vom Lärm geweckt tappte das Tier aus seiner Höhle. Mit furchterregendem Gekreische umrauschte der Drache den Bergwald und das Flattern der Nüstern brachte die Fel- sen zum Bersten. Der Ritter aber hielt sein Schild gegen die Sonne. Gierig nach dem vermeindlichen funkelnden Schatz stürzte sich der Dra- che auf das Schild. Geblendet von der Helligkeit des Lichtes erkannte der Schuppenteufel zu spät die List und rammte sich die drei spitzen Pfähle in den weichen Bauch. Das Blut spritze aus den offen Wunden und ergoss sich wie ein Strom über den Ritter. Wie durch ein Wunder wurde nur eine Seite des Schildes vom Blut getrof- fen, der andere Teil glänzte unaufhörlich in gleißendem Silber. Aus Dankbarkeit errichteten die Bewohner aus dem Tal dem Ritter an dieser Felsstel- le eine Burgwarte. Der küh- ne Edelmann und sein Ge- schlecht nannte sich seither „von Wartenfels“, den halb- seits blutgefärbten, silbrigen Schild, geteilt durch schräge, mächtige, schwarze Balken, nahm er in sein Wappen auf. Information zur Sage: Die Herren von Wartenfels waren eine Nebenlinie der Herren von Tann, die ihren Sitz auf Alten- und Lichten- tann (Henndorf) hatten. Das alte Wartenfelser Wappen dürfte in Anlehnung an das „Tanner-Zeichen“ entstanden sein. Die Drachenwand er- hielt ihren Namen von einem Drachen, der sich in einer großen Felsenhöhle aufhielt. Die Breitseite der Drachwand ähnelt den Körperumrissen eines Drachens mit einem Stachelrücken. Sagenquelle aus dem Buch: Goldbrünnlein und Drachen- wand. Sagen und Märchen einer Landschaft für Erwach- sene und Kinder, Illustratio- nen Heilgard Maria Bertel, Herausgeber, Verleger Prof. MMag. DDr. Bernhard Bal- thasar Iglhauser, Verkauf: im Gemeindeamt Thalgau
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