VOLLMOND 5-2021
VOLLMOND 5/2021 47 ie Fuschler Ache bot zu allen Zeiten für Mensch und Tier genug Wasser. Eines Tages jedoch war sie ausgetrocknet. Ein jun- ger Kuhhirt saß damals traurig auf der schmalen Brücke, die nach Leithen führte. Da sah er plötzlich in einiger Entfernung ein giftgrünes, schuppiges Kerlchen. Das Männlein trug am Kopf grüne Algenfäden und zwischen den Händen lug- ten rote Schwimmhäute her- vor. Es war ein Achenkobold. Übermütig hüpfte es auf den Steinen herum und schwang ein zierliches Silberstäbchen. Berührte der grüne Kauz damit einen Bachstein, so strömte ein großer Wasserschwall heraus. Das Kerlchen fragte den Bur- schen: „Warum schaust du so unwirsch drein?“ „Wie kann ich mich freuen, wenn meine Tiere und ich vom Durst ge- quält werden, du dir aber mit Zauberkraft jederzeit ein küh- les Bad bereitest?“ „Dieser Sorge kann ich Abhilfe schaf- fen“, lachte der Kobold und berührte mit seinem Silber- stäbchen einen großen Geröll- block. Im gleichen Augenblick sprangen riesige Wassertrop- fen hervor und das Bachbett füllte sich. Nun konnte der Bursche und seine Kälber kräftig trinken. Der Durst war gelöscht, da vernahm der Kuhhirt ein großes Knurren in seiner Magengegend, der Ko- bold erschrak. „Keine Angst!“ rief der Bursche, „es war nur mein leerer Bauch!“ „Wenn du Fische willst, fällt es mir nicht schwer, sie zu besorgen“, antwortete das Männlein. In kurzen Abständen schlug der Kobold mit dem Stab auf den mächtigen Felsblock, und schon tummelten sich präch- tige Forellen im Achenwasser. Der Hirte fing zwei große Fisch aus den Fluten, machte am Uferrand ein Feuer und briet die Fische. Diesem Geschehen sah das Männlein verwundert zu, da es ihm unbekannt war. Der Hirte reichte dem Kobold einen Fisch. Niemals zuvor hatte er derart Köstliches ver- speist. Nach der Mahlzeit sag- te er: „Ich schenke dir meinen Zauberstab. Sollte die Ache wieder einmal vertrocknen, brauchst du nur einmal auf den Bachstein zu schlagen. Hast du Hunger, schlage dreimal auf den großen Stein und du wirst Forellen fangen können. Da- für verlange ich, dass du mir bei jeder Mahlzeit einen ge- bratenen Fisch darauf legst.“ Überglücklich nahm der Hirte das Silberstäbchen. Von da an verschaffte sich der Bursche mit dem Zauberstab regelmä- ßig eine Mahlzeit. Bald aber dachte er nicht mehr an sein Versprechen. Wieder einmal saß er bei seinem Essen, als der grüne Kobold auftauchte. „Wo ist mein versprochener Fisch?“, fragte er. „Ach, lass mich in Ruhe! Ich bin es müde, ständig für zwei die Mahlzeit zu bereiten! Aber wohlan, heu- te sei auch für dich was übrig“, rief der Kuhhirte und warf dem Männlein ein paar Fisch- reste zu. Der Achenkobold be- gann vor Wut rot zu erglühen und aus seinem Schuppenkleid schossen giftgrüne Wasserfon- tänen. Vor Angst fiel dem Hir- ten dabei das Silberstäbchen aus der Hand, kullerte in den Bach und trudelte davon. Das Männlein ballte seine klei- ne Schuppenhand zur Faust und schrie mit dünner, schril- ler Stimme: „Durch die Kraft dieses Zauberstabes wird die Ache zwar niemals mehr ver- siegen! Schlägt er jedoch an einen Stein, so sollen Flut und Hochwasser das Bach- bett zum Bersten bringen. Was Segen war, wird nun zum Flu- che werden!“ Dann verschand der Kobold in den Wellen und zeigte sich niemals mehr den Menschen. Schlägt das Spiel der Wellen das Zauberstäbchen an einen der Steine, so erhebt sich das Wasser der Fuschler Ache. Un- glück und Verderben bringend, schiebt sich dann der mächtige Voralpenbach wie eine silberne Walze durch das Becken von Thalgau, alles überschwem- mend, um so auch noch in der Gegenwart den Fluch des Klei- nen Achenkobols zu erfüllen. Sagenquelle aus dem Buch: Goldbrünnlein und Drachen- wald. Sagen und Märchen einer Landschaft für Erwach- sene und Kinder, Illustra- tionen Heilgard Maria Bertel, Herausgeber, Verleger Prof. MMag. DDr. Bernhard Baltha- sar Iglhauser, Verkauf: im Ge- meindeamt Thalgau D Das Silberstäbchen des Achenkobolds SAGE aus dem Mondseeland
Made with FlippingBook
RkJQdWJsaXNoZXIy MTA1MzE0