VOLLMOND 3-2024

8 VOLLMOND 3/2024 Aktuelles INTERVIEW aus dem Mondseeland I n Unterach werden ver- schiedene Projekte im Rahmen der Kulturhaupt- stadt Europas umgesetzt. Eines davon von Amina Handke. Sie lädt ins „Mu- seum der Erinnerung“. Sie haben das Projekt „Mu- seum der Erinnerung“ für das Lederermayerhaus in Unterach als Teil des Pro- gramms zur Kulturhaupt- stadt Europas 2024 entwi- ckelt. Wie verläuft so eine Projekt-Entwicklung unter dem Aspekt „Was wir woll- ten, was es wurde“? Amina Handke: Es wer- den viele Ideen gesammelt, Konzepte geschrieben und verworfen, Kalkulationen er- stellt, Gespräche geführt. Je mehr Beteiligte, desto kom- plexer wird es und braucht viel Zeit. Das Meiste muss im Lauf dieser Zeit wieder verworfen werden. Aber die Ideen bleiben und werden ir- gendwann auch einmal reali- siert, wenn sie passen. Was macht den besonderen Reiz beim Lederermayer- haus aus – was hat ihr Herz besonders berührt? Handke: Das Erste, das mich angesprochen hat, war der Widerstand gegen die kurz- fristige Vermarktungslogik, der so vieles in dieser Welt zum Opfer fällt, im Interesse der Bereicherung von Weni- gen. Dieses Haus und seine Erhalter sind wie ein galli- sches Dorf mitten im Ort, das ist ein schönes Symbol. Alle Leute bleiben davor stehen und möchten mehr darüber wissen. Das ist wichtig und verbindet uns Menschen. Al- so das Erinnern und der Wis- sensdurst. Ist dieses Projekt eines, das ihrem künstlerischen Port- folio entspricht oder einmal „völlig aus der Linie“? Handke: Eigentlich fügt es sich ganz gut in mein Portfo- lio, obwohl ich gerne und oft „aus der Linie“ gerate. Neben den Fragen nach Werten und Erinnerungen beschäftigt mich auch schon lang dieje- nige nach Original und Fäl- schung: Was ist überhaupt Original in der menschlichen Kultur, die von Weitergabe lebt? Und warum fällt es uns so schwer, Fälschungen zu er- kennen? Was meinen Sie, gerade in der Diskussion aktuell: wel- chen Wert haben Erinne- rungen? Handke: Erinnerungen be- stimmen unsere Identität, oder wie der Theologe Rein- hold Borschki so schön sagt: „Erinnern ist die Basis für kulturelles Leben, von einfa- chen, vormodernen Tätigkei- ten wie Ackerbau (…) bis hin zur Schrifttätigkeit der ,Hoch- kulturen , und deren kreativen ästhetischen Werken. (…) Als individuelle Fähigkeit ist er- innern mit der Genese des Individuums verknüpft, wo- bei es nicht nur um Sammeln und Zusammenstellen zum Zweck des späteren Abrufens geht. Vielmehr muss Erinnern als ein komplexer Konst- ruktionsprozess verstanden werden, bei dem Wirklich- keit nicht detailgetreu nach- gezeichnet wird, sondern aufgrund von Vorerfahrun- gen, früheren Erinnerungen und deren Wiedergabe sowie insbesondere aufgrund von sozialen Interaktionen je neu gedeutet wird. Erinnerung ist Deutung, Konstruktion und Rekonstruktion von Vergan- genem im sozialen Prozess.“ Wenn das Projekt beendet ist, was soll bleiben an Er- innerung? Handke: Idealerweise wird das Projekt weiterentwickelt oder führt zu neuen Ideen. Oder es werden welche wie- der aufgegriffen, die schon da waren und wieder verworfen werden mussten. Wichtiger Teil des Projekts ist der Pro- zess und die Kommunikation, die geht weiter und formt die Erinnerung, die hoffentlich auch eine schöne sein wird. Interview: Christina Burda * * * Amina Handke wurde gebo- ren in Berlin, lebt und arbei- tet in Wien. Sie absolvierte ein Studium der Malerei und visuellen Mediengestaltung. Berufliche Erfahrung hat sie unter Anderem am Theater, im Musik-, Film- und Kunst- bereich, als Jugendarbeiterin und in der Konzeption und Umsetzung partizipativer Projekte wie Österreichs ers- tem Community Fernsehen Okto. Ein gallisches Dorf mitten im Ort Die Künstlerin Amina Handke lädt in Unterach ins Museum der Erinnerung. Bild: Verein Projekt Lederermayerhaus

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