VOLLMOND 2-2023

Der Greisenbart SAGE aus dem Mondseeland A VOLLMOND 2/2023 29 uf Burg Wartenfels lebte einst ein reicher und angesehener Pfle- ger mit seiner Tochter. Sehr stolz, eitel und selbst- süchtig, verbrachte sie meh- rere Stunden des Tages vor dem Spiegel und war damit beschäftigt sich herauszu- putzen. Als die Zeit heran- nahte zu heiraten, jagte sie einen Freier nach dem ande- ren unter Gelächter und Spott aus der Burg. Ihr Vater war so erzürnt, dass er beschloss den hässlichsten, ältesten und schmutzigsten Bewer- ber, der eine schwierige Auf- gabe lösen kann, die Tochter zu geben. Auch ein verarm- ter Edelmann aus dem Ge- birge machte sich im Herbst auf den Weg. In Thalgauegg entzündete er am Abend ein Feuer. Als die Flammen hoch loderten, nahm er noch einen Haselnusszweig, um ihn in die Glut zu werfen. „Nein, nein, halt ein, ich verbrenne!“ rief es. Der Junker zog die Hasel aus dem Feuer und zu seiner Verwunderung stand plötzlich eine braune Ge- stalt mit kleinen Hörnern vor ihm. Es war ein „Haselmänn- chen“, die sich meistens unter der Rinde oder zwischen den Nüssen versteckten. Als der junge Mann begann, mit verkohlten Resten seine Hände und Wangen einzurei- ben, fragte er erstaunt: „Was machst du da?“ Da erzählt er von der Tochter des Pflegers. Das Haselmännchen antwor- tete: „Geh nur hin und ver- suche dein Glück, ich kenne die Aufgabe und werde dir helfen. Da drüben ist eine Waldrebe, sie ist ein wah- rer Jungbrunnen der Natur. Gehst du im Spätherbst unter ihren Kaskaden durch und die schmale Sichel des abneh- menden Mondes beleuchtet deinen Rücken, dann alterst du frühzeitig. Kommst du aber im Frühling und scheint dir das fast volle Licht des Mondes ins Gesicht, kehrt die Jugend zurück!“ Also tat der Bursche wie ihm geheißen und tatsächlich hatte sein Ge- sicht viele Runzeln und die Tropfen des giftigen Saftes ließen unansehnliche, große und rote Flecken an Armen, Beinen und Gesicht wachsen. Er machte sich auf den Weg zur Burg, wo bereits viele Bewerber eingetroffen wa- ren. Der Pfleger suchte aus allen Bewerbern den „gealter- ten“ Junker und zwei weitere Jünglinge aus. Anschließend wurde die Aufgabe verlau- tet: „Wollt ihr meine Tochter freien, dann soll die Hoch- zeitskutsche nicht von einem prächtigen Pferdegespann ge- zogen werden, sondern von dem Steinbock oberhalb des gefährlichen Klausbaches- Wasserfalles“. Die ersten zwei Bewerber hatten kein Glück und schafften es nicht zum Steinbock. Der Junker aber erklomm mühelos das steile Gelände und gelangte hinter den Wasserfall, fing den prächtigen Steinbock und brachte ihn zum Burghof. Die Tochter des Pflegers war zu Tode erschreckt als sie den al- ten Mann mit weißen Haaren näherkommen sah. Alles bet- teln und bitten half nicht und der Vater ließ die Vermählung noch an Ort und Stelle durch- führen. Der Winter zog ins Land und das Paar hatte Zeit sich aneinander zu gewöhnen und sich zu lieben. Im Früh- ling zog er mit dem Steinbock los um an die Stelle zu ziehen an der er das Haselmännchen getroffen hatte. Und wie ihm gesagt wurde drang er in um- gekehrter Reihenfolge durch die duftenden Blüten besetz- te Dickicht der Waldrebe. Als jugendliche Erscheinung verließ er die geheimnisvolle Waldschlucht. Der Steinbock war verschwunden, stattdes- sen stand ein weißes, kräfti- ges Pferd auf der Lichtung. Mit diesem kehrte er eilig zu seiner Frau heim. Sie hätte ihn beinahe nicht erkannt, aber als er die Geschichte erzählt hatte, weinte sie vor Glück und beide lagen sich lange in den Armen. Der Steinbock wurde später in das Wappen von Thalgau auf- genommen. Sagenquelle aus dem Buch: Goldbrünnlein und Drachen- wand. Sagen und Märchen einer Landschaft für Erwach- sene und Kinder, Illustratio- nen Heilgard Maria Bertel, Herausgeber, Verleger Prof. MMag. DDr. Bernhard Bal- thasar Iglhauser, Verkauf: im Gemeindeamt Thalgau

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