VOLLMOND 2-2021

SAGE aus dem Mondseeland 20 VOLLMOND 2/2021 or vielen Jahrhun- derten, als die Ge- gend von Thalgau noch von dichten Wäldern bedeckt war, befand sich in den Talniederungen un- weit des Kolomansberges ein prunkvolles Schloss. Goldene Zinnen ließen alle Türme wie leuchtende Berge aussehen und seltene, grün strahlende Klet- terpflanzen umwoben das ge- waltige Mauerwerk. Geheim- nisvolle Ritter und Edelfrauen trieben nachts im Burgstall ihr Unwesen, der Schlossherr selbst war ein hinterhältiger und boshafter Zauberer. Die armen Talbewohner ringsum in den Gehöften und Dorfhäu- sern mussten viele böse Taten des seltsamen Herrn über sich ergehen lassen. Der Zaube- rer erschien häufig mit einem Kopf aus Lehm auf dem Markt oder hatte gar keinen Schädel zwischen den Schultern. Oft schlich er sich in Tiergestalt umher und erschreckte die Bewohner mit entsetzlichem Schnauben und Gekicher. Be- sonders arg trieb der graubär- tige Gnom es mit den Ischler Salz- und Bergarbeitern. Das Getöne der Hämmer und Schlageisen dröhnte weit her- über und störte die nächtliche Ruhe des mächtigen Schloss- besitzers. Auch der Fleiß und die unermüdliche Arbeit dieser Leute waren ihm ein Dorn im Auge. Im Volke wurde erzählt, dass er mit den Unterirdischen im Bunde sei und gerade des- halb die Schürfer aus Ischl ihm besonders verhasst waren. Die- se gruben nämlich nach den Schätzen der Erde, die seine bösen Freunde in der Tiefe zu bewachen hatten. Immer wie- der ließ er die Bergleute mit üblen Streichen seine Zauber- macht spüren. An einem heißen Sommertag schickte der Zaube- rer einen Fronboten mit einem versiegelten Fass zu den Berg- leuten, um den Inhalt ansehen zu lassen. „In diesem Gefäß befindet sich Sole“, meinte der Diener und fügte fordernd hin- zu: „Mein Herr möchte wissen, ob sich der Abbau des Salzes auf seinen Besitzungen lohnen V Das geheimnisvolle Holzfass Wellentürme zu sehen, die den weißen Salzwogen des Meeres ähnlich sind. In klaren Mond- nächten aber kann man einen unheimlichen, silberbärtigen Mann ziellos mit einem Boot umherrudern sehen. In seinen kalten, dünnen Händen hält der gespenstische Fremde ein riesiges Holzfass. Suchend irrt er mit seiner Zille von Ufer zu Ufer, manchmal sah man ihn auch auf den Flößen der Schif- fer herumschleichen. Dies sei der Zauberer, erzählten leise die Menschen im Dorf, der den Deckel sucht. Nur wenn er ihn gefunden hat, wird er von sei- nem langen Herumirren erlöst. Der schimmernde See wurde aber seit dieser Zeit als Irrsee bezeichnet. (Nach: Emil, 1842; M. Lindenthaler, 1926; B. Iglhauser, 1994; A. Reisinger, 2006) Sagenquelle aus dem Buch: Goldbrünnlein und Drachen- wand, Bernhard Balthasar Iglhauser, illusstriert von Heil- gard Maria Bertel herauszuleeren und mir meine Last zu erleichtern.“ Auch von Neugierde getrieben, stellte er das Holzgefäß auf die Erde zu rück und hob vorsichtig den Deckel ab. Wie ein Feuerbrand wallte da eine ungeheure Was- sermenge aus dem Fass, begleitet von dumpfem Gurgeln und Zischen. Vergeb- lich bemühte sich der arme Mann, das Gefäß wieder zu verschließen. Durch eine wei- ße Gischtfontäne wurde der Bote hochgeschleudert und von den Wasserfluten wegge- spült. Bald überzogen meter- hohe Wellen die Landschaft und sogen auch das goldene Schloss des tückischen Hexen- meisters in die dunkle Tiefe. Das für die Ischler Bergleute zugedachte Unheil hatte sich über den bösen Zauberer selbst ergossen und Tod und Verder- ben gebracht. Dort, wo einst das Zauberschloss stand, lag nun ein kleiner See. Wenn der Sturm über die Wasserober- fläche heult, vermeint man würde!“ Da die Ischler aber dem übelsinnenden Schloss- herrn nichts Gutes zutrauten, schickten sie das große, schwe- re Holzfass ungeöffnet wieder zurück. Die riesige Last auf seinen Schultern tragend, wan- derte der Bote zum Schloss zu- rück. Ermüdet von den steilen Wegen und der sommerlichen Hitze, setzte er sich unweit der bereits sichtbaren Burgmauern im Schatten eines duftenden Baumes zur Rast. Ganze Bä- che von Schweiß strömten über seinen Körper und es dauerte eine Weile, bis sein Atem ru- higer und leiser wurde. Nach- dem er sich etwas erholt hatte, machte er sich daran, den letz- ten Teil der Strecke in Angriff zu nehmen. Mürrisch wollte er gerade wieder den wuch- tigen Holzkörper auf seinen Rücken heben, als er vor sich hin brummte: „Würde ich Gold schleppen, wäre meine Mühe und Plagerei zu verstehen! So aber wird es wahrlich kein Un- glück sein, etwas Salzwasser

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