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Die goldene Nadel SAGE aus dem Mondseeland V 28 VOLLMOND 1/2023 or langer Zeit lebte in Thalgau ein Schnei- der. Obwohl er Tag und Nacht in seiner kleinen Nähstube verbrachte, blieb am Ende des Monats kaum Geld übrig um den Lebensunterhalt für die Familie zu bestreiten. Eines Tages klopfte es laut an der Haustür. Draußen stand ein Mann mit eigenartigem Aus- sehen. Er trug einen schwar- zen Anzug mit bunten Stoff- fetzen. An ihnen waren große und kleine Glöcklein befestigt, die bei jeder Bewegung hel- le und laute Töne erzeugten. Dazwischen hingen schwarze Rabenfedern, die im Windzug der geöffneten Tür sogleich ein scharfes Surren von sich ga- ben. In seinem Haar befanden sich Alabasterstücke gleich funkelnden Schneesternen. Sein langer Bart war mit blau- en Strähnen eingefärbt, die an Eiszapfen erinnerten. Am Kopf trug er einen hohen Zylinder. Auf der rechten Seite steckte eine große, goldene Nadel. Der Fremde war ein Wettermänn- lein. Die spindeldürre Gestalt besaß so manche Zauberkräf- te über Wind, Wolken, Regen und Sonne. Das Wettermänn- lein fragte: „Kannst du mir ein paar kaputte Stellen meiner Kleidung ausbessern? Ich bin auch vom Wettermachen etwas müde und möchte einige Zeit schlafen. Wenn du diese Gold- nadel in die Luft wirfst, bindet sie jede Wolke an die von dir befohlene Bergspitze. Dann scheint ungetrübt die Sonne. Vergiss aber nicht, der Nadel auch wieder zu befehlen, die Wolken loszubinden, damit sie durch ihr Zusammenprallen den lebensnotwendigen Regen erzeugen.“ Nach diesen Worten legte er sich schlafen. Der Schneider erledigte schnell die erforderlichen Näharbeiten. Dann nahm er die Nadel, ging ins Freie und warf sie, immer wieder laut einen Bergnamen rufend, hoch empor. Flink schnappte sich die Nadel alle Wolken und heftete sie an die Gipfel. Der Schneider genoss fortan die Sonne. Die Felder waren ver- dorrt, die Bäche ausgetrock- net und das ganze Vieh im Tal fast verdurstet. Die Menschen raubten aus den Häusern Vor- räte und plünderten Bauern- höfe. Als der Wettermann endlich munter wurde und das Unheil sah, trennte er rasch die Wolken mit einem mäch- tigen Atemstoß von den Berg- spitzen. Sogleich peitschte ein Sturm durch das weite Thal- gauer Becken und riesige Was- sermengen ergossen sich die ganze Nacht über. Die golde- ne Nadel schaukelte wie eine Feder vom Himmel und blieb mitten am Dorfplatz im Boden stecken. Am nächsten Morgen war sie verschwunden. An der gleichen Stelle aber stand ein Lindenbaum und lud die Men- schen mit seinen herzförmigen Blättern als Zeichen der Lie- be und Versöhnung unter sein Laubdach ein. Informationen zur Sage: Der alte Lindenbaum in Thal- gau und der Gastgarten sind vielfach bis zur Gegenwart der Treffpunkt der Menschen ge- blieben. Den Ahnen galt die Linde als heiliger Baum, an den das Glück der Dorfbewoh- ner geknüpft ist. Nachts wenn alle Lichter verlöscht sind und jeglicher Lärm des Tages längst verstummt ist, sammeln sich die guten Geister der Gemein- de um die Linde. Schweigend umschreiten sie den Baum und reichen sich die Hände. Allen voran die Liebe, ihr folgen die Eintracht, die Hilfsbereitschaft, das Verstehen und das Verzei- hen, die Treue und die Wahr- haftigkeit. Sagenquelle aus dem Buch: Goldbrünnlein und Drachen- wand. Sagen und Märchen einer Landschaft für Erwach- sene und Kinder, Illustratio- nen Heilgard Maria Bertel, Herausgeber, Verleger Prof. MMag. DDr. Bernhard Bal- thasar Iglhauser, Verkauf: im Gemeindeamt Thalgau
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