VOLLMOND 1-2020
KURZGESCHICHTE aus dem Mondseeland M an kann jetzt wirk- lich nicht sa- gen, dass der Ge nd a rme - rie-Postenkommandant Karl Schrems ein Morgenmensch wäre. Beileibe nicht. Eher Gegenteil. Also Morgenmuf- fel. Solche Leute sind nur schwer in die Gänge zu brin- gen und brauchen meist den halben Vormittag um halb- wegs fit zu werden. So auch der Karl. Kaffee, fast literwei- se. Jause, mindestens zwei Semmerl mit Wurst oder Le- berkäse. Dazu ein halber Li- ter Mineral, manchmal auch ein Cola. Was soll ich sagen: Am besten wäre es, du wür- dest den Karl selbst kennen, dann könnte ich mir sehr vie- le Worte sparen … Und wenn dann vormittags auf dem Pos- ten nicht viel los ist, sieht der Karl überhaupt keinen Grund, sein halbverschlafenes Reich zu verlassen. Aber heute morgen. Das kannst dir gar nicht vorstellen. Nur eine Sekunde hat der Karl gebraucht um hellwach zu sein. Also blitz- artig Augen ganz offen, Sinne geschärft bis aufs Letzte und ein- satzbereit bis zur dünnsten Faser seines Körpers. Wie das möglich ist, willst jetzt von mir wissen? Gut, ich sag´s dir: Telefon! Nor- malerweise hebt ja gar nicht der Karl selbst ab. Weil, ganz ehrlich jetzt, wo gibt’s das, dass der Chef gleich als erster am Telefon ist? Ein Gendarmerieposten ist da keine Ausnahme. Aber diesmal ist es halt blöd her gegangen und der Karl war für einen Augenblick allein in der Kanzlei. Deshalb nicht abzuheben, daran hat der Karl natürlich auch nicht gedacht. Und so hat er ziemlich müde, ich möchte jetzt sogar von unfreundlich reden, ein „Schrems“ in den Hörer geraunzt. Dann war er hellwach. Weil am anderen Ende der Leitung, die genaugenommen ein Handy war, sagt eine Frau nur: „Da ist eine Leich.“ Jetzt ist ja schon einiges los auf dem Posten. Weil der Zuständig- keitsbereich ist das ganze Mondseeland. Aber eine Leich? Kommt jetzt auch nicht oft vor. Ist halt doch alles ein bisserl Landgen- darmerie. Und so kann ich mir schon gut vorstellen, wie blöd der Schrems geschaut hat. Und wahrscheinlich hat er zunächst nur „was“ und „wo“ gesagt. Vielleicht auch noch „warum“. Die Frau hat aber gleich weitererzählt. Sie fährt gerade mit dem Auto und vor ihr ein anderer Wagen. Bei dem ist der Kofferraumdeckel offen und heraus baumelt eine menschliche Hand. Einmal mehr, einmal weniger. Aber ganz unverkennbar: eine Hand. Und wenn sich die Herren Gendarmen beeilen und aus ihrem Stübchen hinaus auf die Straße rennen, dann kann es nur ein paar Sekunden dauern, bis der Wagen direkt vor ihnen vorbei fährt. Dann also nur rote Kelle hinaus, Auto aufhalten, Mörder fassen. Natürlich sonderbar das Ganze, aber für den Schrems klang´s glaubwürdig und schon stand er ein paar Sekunden später mit zwei Kollegen auf der Straße um nach dem Leichenwagen Ausschau zu halten. Und was soll ich dir sagen: Da kam wirklich so ein Auto, wie von der Frau beschrieben. Und obwohl der Schrems eigentlich schon ziemlich abgebrüht. Jetzt ging ihm das Doserl, wie man locker so sagt. Also Herzschlag bis zum Hals. Aber anmerken ließ er sich nichts, als er heftig die Kelle schwang. Wahrschein- lich denkst dir jetzt, dass der Wagen gar nicht stehen geblieben ist. Aber da irrst du dich. Weil das Auto blieb stehen und eine junge Frau lächelte die Gendar- men an und fragte mit Engels- stimme, womit sie den Herren helfen könne. Da war Schrems aber schon hinter das Auto gestartet und sah selbst die Leiche. Besser den Arm, der weit herausragte. Nur schlecht versteckt von ein paar Rigips-Platten, die ganz offensichtlich über die Lei- che gelegt worden waren um neugierige Blick abzuhalten. Schrems wurde fast schlecht und auch seine Kollegen muss- ten sich amWagendach festhal- ten. Und während die Herren in Uniform noch um Fassung rangen, begann sich die Leiche zu rühren. Der Kofferraum- deckel sprang völlig auf, die Ripis-Platten bewegten sich. Sekunden später kletterte ein Mann aus dem Wagen. Schüt- telte seinen Arm und dann den Gendarmen die Hand. Was ist los? Wollte er so ganz nebenbei wissen. Und weil Schrems und seine Kollegen am allerwenigsten wussten was los war, kam die Erklärung von der angeblichen Leiche, die in Wirklichkeit ziem- lich lebendig war. Der Mann und seine Freundin hatten im Baumarkt eingekauft. Rigips-Platten für den Innenausbau. Begnadeter Heimwerker der Typ, macht alles selbst. Handwerker kommt dem keiner ins Haus. Aber nicht deshalb, weil Heimwerker in der Regel ohnedies nie kommen. Selbst wenn sie gesagt haben, dass sie kommen. Ich ver- rate dir jetzt etwas: Ich selbst musste einmal über drei Wochen auf einen Installateur warten. Und dazwischen der Wasserhahn immer tropf, tropf, tropf. Zum Schluss kam schon ein kleines Rinsal aus der Pipe. Ich habe dann noch dreimal angerufen und … ach ent- schuldige, das wollte ich jetzt gar nicht erzählen. Was war also los, mit dem Heimwerker? Der hat die Ripis-Plat- ten beim Baumarkt gekauft und dann beim Verladen gemerkt, dass das Auto seiner Freundin viel zu klein ist. Quasi Kleinwagen, so wie alle Frauen. Alles drücken und quetschen half nichts. Die Plat- ten schauten einen guten halben Meter aus demAuto. Jetzt begann der Mann mit Seilen und Gummi-Expandern zu experimentieren. Einmal der Länge nach, dann der Breite nach. Einmal Platten ge- legt, einmal aufgestellt. Aber du kennst das sicherlich auch. So funktioniert das einfach nicht. Da machte der Mann kurzen Pro- zess, legte sich ins Auto und ließ sich die Platten von seiner Freun- din auf den Bauch schlichten. Kannst dir das vorstellen? Witzig, oder? Und vor allem originell! Und so hielt er die Platten mit den Fingerspitzen während der Fahrt fest. Jetzt kennst das sicher aber auch. Wennst irgendwo so verzwickt knotzt und krampfhaft den Arm steif halten musst, dann schläft der irgendwann ein. Und so hat der Mann unter den Rigips-Platten längere Geraden genützt, um den Arm locker aus dem Kofferraum baumeln zu lassen, auf dass die obere Extremität an der linken Schulter wieder aufwachen möge. Glaub mir, es hat schon einige Zeit gedauert, bis dem Schrems wieder die Farbe ins Gesicht gekrochen ist. Und sich der Blutdruck normalisiert hat. Irgendwann hat sich dann sogar ein Lachen ins Gesicht des Postkommandanten gezaubert. Aber trotzdem. Einen Strafzettel musste er der Autofahrerin schon verpassen. Weil jetzt ganz ehrlich und da sind wir uns wohl einig: Eine fachmännische Ladegutsicherung schaut schon ein bisserl anders aus. Von Josef R. GHEZZI
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