Das etwas andere Interview
Seite 19
Juli 2015
Z
erstör mich nicht. Ich
kann Leben retten.
Das war einmal. Wer
heute jemanden alar-
mieren muss, der greift zum
Handy. Aber auch all jene, die
gerade niemanden alarmieren
müssen, haben immer ihr Han-
dy in der Hand. Zum Telefonie-
ren und zum Smsen, um sich
zu orientieren oder um anderen
dauernd irgendwelche Fotos zu
zeigen, die genaugenommen
niemand sehen will.
Wird man da nicht neidisch
als Telefonzelle?
Telefonzelle:
„Neidisch würde
ich jetzt nicht sagen. Ich muss
mich nur wundern, wie sich die
Telefoniererei entwickelt hat.
In jeder Telefonzelle gibt es
den Hinweis, sich kurz zu fas-
sen, weil die anderen auch te-
lefonieren möchten. Und frü-
her war es wirklich so, dass sich
manchmal die Leute angestellt
haben. Heute kommt oft tage-
lang niemand.“
Frustrierend, oder?
Telefonzelle:
„Es nützt alles
nichts, die Zeit hat sich verän-
dert. Aber ganz aussterben wer-
den wir Telefonzellen trotzdem
nicht. Weil durch die sogenann-
te Universaldienstverordnung
ist die Telekom Austria zur flä-
chendeckenden Mindestver-
sorgung mit Telefondienstleis-
tungen in Österreich verpflich-
tet. In der Praxis heißt das, dass
noch fast in jeder Gemeinde
mindestens eine Telefonzelle
steht.“
Wie viele Geschwister haben
Sie dann noch?
Telefonzelle:
„In ganz Öster-
reich gibt es noch rund 13.500
Telefonzellen und 2.500 öf-
fentliche Fernsprecher in Ge-
bäuden. Ich bin ja noch ein al-
tes Modell. Aber meine Enkerl
können schon fast so viel wie
ein Handy. Man kann mit ih-
nen E-mails verschicken oder
im Internet surfen.“
Schön und gut. Aber wer
braucht Sie eigentlich noch?
Telefonzelle:
„Naja, so ist das
jetzt auch wieder nicht. Statis-
tisch wird jede Telefonzelle in
Österreich jeden Tag zweiein-
halb Mal benutzt. Witzigerwei-
se in erster Linie von Handybe-
sitzern, weil bei ihren Telefo-
nen der Akku leer ist. Dass Te-
lefonzellen in Hauptbahnhöfen
oder auf Flughäfen wesentlich
öfter benützt werden, als wir
auf dem Land, versteht sich
von selbst.“
Wenn bei mir das Han-
dy nicht funktioniert, dann
könnten Sie mir auch nicht
helfen. Weil ich keine einzi-
ge Telefonnummer auswen-
dig kenne.
Telefonzelle:
„Dazu gibt´s
dann noch das gute alte, gelbe
Telefonbuch. Das ist auch ein
Überbleibsel aus längst vergan-
gener Zeit. Und so ein Telefon-
buch liegt in jeder Telefonzelle.
Vorausgesetzt, dass es niemand
gestohlen hat.“
Da wären wir gleich beim
nächsten Thema. Telefonzel-
len werden ja nicht immer
nur zum Telefonieren ver-
wendet. Sie sind oft auch Op-
fer von Vandalen.
Telefonzelle:
„Daran hat sich
leider in all´ den Jahren nichts
geändert. Immer wieder wer-
den wir mutwillig zerstört.
Ich möchte fast sagen: einfach
nur so, aus Dummheit. Aber
auch da tun sich die Vandalen
bei meinen Enkerln schwerer.
Die haben sogar ein Display
aus Panzerglas. Aber eigent-
lich ist es schon traurig, dass
sie das brauchen, um sich vor
den Menschen zu schützen. Sie
müssen sich vorstellen, dass je-
des Jahr zu Silvester bis zu 200
Telefonhäuschen mit Feuer-
werkskörpern gesprengt wer-
den. Vertrottelt. Oder? “
Telefonzellen sind nicht immer
die saubersten Örtchen ...
Telefonzelle:
„... Werden
aber, so gut es geht, ge-
pflegt. So gibt es jähr-
lich rund 70.000 Reini-
gungen. Aber auch da
sind es immer wie-
der nur ein paar
schwarze Scha-
fe, die die Tele-
fonzellen ver-
drecken.“
Seit wann gibt es Sie eigent-
lich?
Telefonzelle:
„Weltweit wurde
meine erste Vorgängerin 1878
in New Haven in Connecticut
(USA) aufgestellt. In Öster-
reich ging meine Urgroßmutter
1903 amWiener Südbahnhof in
Betrieb.“
Interview: Rupert Lenzenweger
Wir baten eine der letzten Telefonzellen im Flachgau zum Interview und fragten provokant:
„Wer braucht Sie noch?”
Bild: Rule