DOPPELPUNKT Jänner 2021
Jänner 2021 Seite 30 SUDOKU - die Auflösungen W eihnachten 1947 in Ber- lin. Süßig- keiten, gar Schokolade gab es nicht zu kaufen. Jeden- falls nicht in normalen Läden. Nur auf dem „Schwarzen Markt“. Dort hatte meine Mutter Kakao, Kokosfett und Leibnitzkekse erstanden und aus diesen Zutaten einen soge- nannten Kalten Hund gezau- bert. Dieses Gebäck schmeck- te am besten, wenn es längere Zeit lagerte. Sie wollte uns damit am Heiligen Abend überraschen. Im Wohnzim- mer stand ein altes Büfett, dessen schier unergründliches Inneres mehr als einen halben Meter tief war und bis knapp über den Boden reichte. Wer Geschirr herausholen wollte, musste sich also tief bücken oder sogar hinknien. Ein ide- ales Versteck für den Kalten Hund, fand Mutter, und ver- staute ihn weit hinten in einer der Ecken an der Rückwand. Der Zufall wollte es, dass meine ältere Schwester eine Suppenterrine holen sollte und dabei die Köstlichkeit entdeckte. Vorsichtig brach sie einige Bröckchen ab und steckte sie in den Mund. Ge- rade als ihr weit vorgebeugter Oberkörper wieder aus dem Büfett auftauchte, kam ich ins Zimmer und merkte sofort, dass sie etwas naschte. „Was kaust du?“, fragte ich sie. „Nichts“, lautete ihre nicht sehr überzeugende Antwort. Aber ich war schon auf den Knien und suchte zwischen dem Geschirr. Nicht lange, dann roch ich es, und schon hatte auch ich ein paar Krü- mel im Mund. Einfach köst- lich. Aber auch ich wurde ent- deckt, denn als ich wieder zum Vorschein kam, stand unsere jüngste Schwester hin- ter mir und fragte mich, was ich da im Büffett gemacht hätte. Doch bevor ich antwor- ten konnte, war sie, genauso neugierig wie wir zwei Älte- ren zuvor, ebenfalls im Büfett verschwunden. „Das ist lecker!“, hörten wir sie schmatzen. An den Beinen zog ich sie wieder heraus. „Sei still, das ist eine Weih- nachtsüberraschung! Du darfst zu keinem davon spre- chen“, schärften wir ihr ein. Nach einigen Tagen, ich war gerade alleine im Wohn- zimmer, konnte ich der Ver- suchung nicht widerstehen und wollte schnell einmal nach dem Kalten Hund sehen. Nein, nahm ich mir vor, nicht naschen, aber wenigstens den herrlichen Duft riechen. Aber was entdeckte ich da? Kalter Hu Eine Kurzgeschichte von
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