DOPPELPUNKT Jänner 2021

WEIHNACHTEN im Flachgau E s war Onkel Alfred, der die schockierende Nachricht überbrachte. Zunächst haben wir es für einen geschmack- losen Scherz gehalten. Dann aber zeigte er uns das Titelblatt der Kro- nenzeitung, die er gerade aus dem Zei- tungsständer geholt hatte: So starb Jo- chen Rindt. Das war am Morgen des 6. Septem- bers 1970 und ich kann mich noch ge- nau daran erinnern. Ich war zwölf Jahre alt und wusste zu dem Zeitpunkt alles, was Jochen Rindt in den vergangenen Monaten getan hatte. Und ich war damit beileibe nicht alleine. Alle Österreicher fieberten mit. Da spielte es keine Rolle, ob dich der Motorsport interessierte oder nicht. Österreich lag im Jochen Rindt-Fieber und der war drauf und dran, erster österreichischer Formel 1-Weltmeister zu werden. Und dann der Unfall in Monza. Daran, dass Rindt ster- ben könnte, dachte wohl damals über- haupt niemand. Und dann ist doch die Sonne vom Himmel gefallen. Posthum. Natürlich kannte ich als Zwölfjähriger dieses Wort nicht. Bis zu dem Zeitpunkt, an dem dann Jochen Rindt Weltmeister wurde, obwohl er gar nicht mehr lebte. Posthum. Das wurde für mich zum Begriff der Heldenhaftig- keit. Es klang nach Erfüllung eines Le- benstraums oder einfach nur nach Ge- rechtigkeit. Weil wenn einer einen Sport so dominiert, wie Jochen Rindt 1970 die Formel 1-Weltmeisterschaft, dann ist es am Ende nur recht und billig, dass er auch den Titel gewinnt. 50 Jahre sind seither vergangen. Österreich hatte mit Niki Lauda einen weiteren Formel 1-Weltmeister und mit Gerhard Berger einen mehrfachen Grand Prix-Gewinner. Und trotzdem. Der Rindt bleibt der Rindt. Und nicht nur in meinem Gedächtnis. Jochen Rindt ist weltweit zum Mythos aufge- stiegen und gilt als „der erste Popstar der Formel 1“. So lautet auch der Titel eines großen Bildbandes, der jetzt an- lässlich des 50. Todestages von Jochen Rindt neu aufgelegt wurde. Mit Fotos der besten Fotografen der damaligen Zeit und mit Texten von einem, der selbst längst Kultstatus erreicht hat: Herbert Völker. Als begnadeter Schrei- ber hat er jahrzehntelang die Autorevue mitgeprägt und hat mit seinen Texten sogar Leser für das Magazin gewinnen können, die im Grunde genommen mit Autos absolut nichts am Hut haben. Aber das jetzt nur so nebenbei. Viel wichtiger ist in diesem Zusammenhang: Herbert Völker war ein Mann der ersten Stunde. Soll heißen: Er war dabei als der junge Rindt sein erstes Rennen fuhr und er war beim letzten Rennen in Mon- za. Kurzum: Herbert Völker war ein Freund und Wegbegleiter von Jochen Rindt. Das spürt man auch beim Lesen der Texte. Und weil der Herbert Völker genau weiß, dass es nicht immer vieler Worte bedarf, um wichtiges zu sagen, steht im Buch genauso viel, dass der Leser nachher alles weiß. Den Rest er- zählen die Bilder und die lassen dabei wahrlich keine Fragen mehr offen. Für all jene, die so wie ich vor einem halben Jahrhundert (ach, wie schreck- lich hört sich denn das jetzt an?) mit Jochen Rindt mitgefiebert haben, ist dieses Buch ein Goldschatz der Erinne- rungen. Für alle Menschen die erst viele Jahre nach Rindts Tod geboren wurden, könnte das Blättern in diesem Buch neue Horizonte eröffnen. Zeigt ihnen aber vor allem, dass die Formel 1 nicht immer dieser computergesteuerte Sport mit schier seelenlosen Sportlern war, der er heute ist. Ich überlege gerade, ob ich Onkel Alfred das Buch nicht zu Weihnachten schenken sollte. Der Onkel ist zwar inzwischen in einem Altersheim und körperlich schon ein bisserl gebrech- lich. Aber geistig ist er noch hellwach. Und ich bin überzeugt, dass auch er sich noch an den Morgen des 6. Septembers 1970 so gut erinnern kann, wie ich. n Jochen Rindt - der erste Popstar der Formel 1. Mit vielen hervorragen- den Bildern, einem exakten Statistik- teil und höchst informativen Texten von Herbert Völker. 180 Seiten stark, 30,80 Euro, ISBN 978-3-667-118660. Erschie- nen im Delius Klassnig Verlag. Rupert Lenzenweger Für uns fiel die Sonne vom Himmel

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