DOPPELPUNKT August 2021
macht hat. Das ist gar nicht so schwer: Blechschelle über den Holzgriff und das Mes- serblatt kräftig in den Schlitz gedrückt. Dann werden Griff und Schneid mit einer Ahle ausgerichtet und mit einem Nagel zusammengenietet. Fertig. Natürlich habe ich mir auch einen Feitel gemacht. Den bekommt in ein, zwei Jahren mein Enkel. Vorher muss ich die Klinge aber noch über einen Schleifstein ziehen. Weil inzwischen weiß ich aus eigener, leidvoller Erfahrung, dass sich kleine Helden sehr wohl kräftig in den Finger schneiden können … www.ooemuseums- verbund.at/ museum/188_museumsdorf_ trattenbach wurden jährlich 500.000 Ta- schenfeitel nach Marokko exportiert. Was haben die dort damit gemacht? „Das wissen wir eigentlich selbst nicht“, sagt Bruno Löschen- kohl, dessen Vater die letzte große Messermacherei im Trattenbachtal mit bis zu 16 Mitarbeitern betrieben hat. Am wahrscheinlichsten ist, dass die Feitel in Afrika für irgendwelche Erntearbeiten verwendet wurden. Inzwischen ist das Taschen- feitel-Machen nur mehr eine Liebhaberei, die aber nach wie vor in den Händen der Familien Löschenkohl liegt. Johann Löschenkohl betreibt den kleinen Betrieb und heu- te werden im Trattenbachtal jedes Jahr rund 20.000 Ta- schenfeitel hergestellt. Zu wenig, um zu leben und so gibt es von den Löschenkohls längst auch andere Messer, Bestecke und S-Eisen für die Baumpflege. Dass das Trattenbachtal in- zwischen ein Museumsdorf geworden ist, in dem die Be- sucher noch lückenlos die Produktion von Taschenfei- teln miterleben können, liegt nicht nur am Traditionsbe- wusstsein der Löschenkohls, sondern ist auch der Landes- ausstellung zu verdanken, die hier 1998 stattgefunden hat. „Damals wurde wirklich viel Geld in die Hand genommen, um die alten Produktionsstät- ten zu bewahren und in Be- trieb zu halten“, sagt Bruno Löschenkohl. Freilich, Einiges hat sich doch geändert: Die Griffe für die Taschenfeitel werden nicht mehr von Drechslern aus der Region aus heimi- schen Buchen und Ahorn hergestellt, sondern kommen aus Italien. Und die Chinesen haben auch einmal kurz ver- sucht, den Trattenbachtalern Konkurrenz zu machen. Al- lerdings haben sie die Griffe rm acherwerkstatt. Auf mächtigen Maschinen entstehen zierliche Messer. Die Kraft kommt vom Lederriemen an der Decke. das billigste Messer der Welt aus Plastik produziert und da- mit einen glatten Bauchfleck hingelegt. Gleich geblieben ist in den vergangenen 500 Jahren, dass nach wie vor weltweit alle Taschenfeitel aus dem Trat- tenbachtal kommen und der Trattenbach ist noch immer die Energiequelle des Dorfes. Er treibt nicht nur die Maschi- nen für die Feitelproduktion an, sondern versorgt auch die meisten Häuser dieser Region mit Strom. Nur die Sonne, die lässt sich nach wie vor in den finsteren vier Monaten des Jahres nicht im Trattenbach- tal blicken. Der Rundgang durch das Museumsdorf ist erst dann abgeschlossen, wenn man sich im Museumsshop seinen eigenen Taschenfeitel ge- Unter fachkundiger Anleitung kann sich jeder im Museums- shop selbst einen Taschenfeitel machen. So einfach können Dinge sein, die Jahrhunderte überdau- ern. Ein Taschenfeitel besteht nur aus vier Teilen: Griff, Klin- ge, Blechring und Nagel. Zusammengebaut wird der Feitel mit Hammer, Zange und Ahle. Bilder: Rule Zeitreise Seite 17 August 2021
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