DOPPELPUNKT August 2021
Seite 16 I ch erinnere mich noch ganz genau daran, wie ich meinen ersten Ta- schenfeitel bekam. Mein Opa hat ihn mir geschenkt und ich war viel- leicht vier Jahre alt. Mit dem Messer im Hosensack fühl- te ich mich fortan wie ein unbesiegbarer Held. Trotz- dem hatte dieser Höhenflug auch einen gewissen Nach- geschmack. Weil bevor mir mein Opa den Feitel gab, hat er die Klinge über einen Schleifstein gezogen. Die ganze Schneid war damit weg und meine junge Kämp- ferseele hat die erste Schram- me abbekommen. Was hat sich der Opa da- bei nur gedacht? Als ob sich ein kleiner Held mit dem ei- genen Messer in den Finger schneiden würde? Bartholomäus Löschenkohl hätte sich in seinem Grab um- gedreht, wenn er gesehen hät- te, wie mein Opa mutwillig die Schneid des Feitels zer- störte. Weil der Bartholomäus Löschenkohl ist so etwas wie der Vater des Taschenfeitels und gelebt hat er vor rund 500 Jahren. Damals ist er von Steinbach an der Steyr in das Trattenbachtal gezogen. Das ist ein enger, langer Schlauch, der Talboden ist kaum breiter als ein Haus, die Hänge links und rechts gehen fast senk- recht in die Höhe und vier Monate lang findet die Sonne hierher keinen Weg. Alles in allem eher unfreundlich die Gegend. Wenn da nicht der Trattenbach wäre. Der schlängelt sich durch das Tal und ist damit seit jeher eine nie endende Energie- quelle. Seit 500 Jah- ren ist der Ta- s c h e n f e i t e l perfekt. Das b i l l i g s t e M e s s e r der Welt w i r d s e i t h e r p r a k - t i s c h unverän- dert her- g e s t e l l t . Naja, die B e a r b e i - tungsmethoden haben sich vielleicht ein bisserl geändert. Aber im Grund kaufen wir für ein paar Euro noch immer den gleichen Taschenfeitel, wie ihn auch schon Bartholomäus Löschenkohl gemacht hat. Der besteht aus vier Teilen: Griff (Heft), Klinge, Blechring und Nagel. Von Rupert LENZENWEGER Trattenbach liegt an der oberösterreichisch-steiri- schen Eisenstraße. Die reicht vom Erzberg bis Steyr. Und während in anderen Orten entlang dieser Straße auch Sensen, Sicheln und ähnliche Geräte hergestellt wurden, kamen aus dem Trattenbach- tal jahrhundertelang nur die Feitel. Dafür wurde der bes- te Stahl verwendet. Das Erz dazu kam vom Erzberg, der Stahl wurde in Reichraming gemacht, ehe er den Weg in das Trattenbachtal fand. Da waren zur Hochblüte zwi- schen 1850 und 1900 bis zu 17 Familien damit beschäf- tigt, die kleinen Messer her- zustellen. Bis zu acht Millio- nen Feitel verließen jährlich das Tal, wurden in die ganze Welt verkauft und brachten den Talbewohnern großen Wohlstand. Noch bis 1970 Der Trattenbach treibt alle Maschinen an. Erfinderisch: Altes Uhrwerk steuert Farbautomat. Jahrhunderte alte Messerm Seit 500 Jahren Mag unsere Zeit auch noch so hektisch sein. Es gibt noch Dinge, die uns seit Jahrzehnten begleiten. Zeitreise August 2021
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